AK Abya Yala – Lateinamerika in Hamburg am 27. – 29. Juni 2024
Inhalt, Programm und Anmeldung – Sprachen: spanisch, portugiesisch, deutsch, englisch
Wissenschaftliche Debatten
Die Etablierung der Geographie als wissenschaftliche Disziplin an europäischen Universitäten war eng mit kolonialen und imperialistischen Expansionsbestrebungen der jeweiligen Nationalstaaten verbunden. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird die Geographie in postkolonialen Debatten als „weiße“ Disziplin bezeichnet, in deren Konzepten eurozentrische Perspektiven dominieren und koloniale Vermächtnisse durchscheinen. Obwohl die deutlich jüngeren Universitäten in Abya Yala in ihren Gründungen nicht selten den europäischen Modellen folgten und deren Wissenschaftler:innen während den Militärdiktaturen in Europa häufig im Exil waren oder auch dort promoviert haben, haben sich die wissenschaftlichen Debatten von diesem europäischen Erbe weitgehend emanzipiert und widmen sich den spezifischen gesellschaftlichen Dynamiken in Abya Yala. Auch wenn ein reger Austausch zwischen den wissenschaftlichen Communities in Abya Yala und im deutschsprachigen Raum stattfindet, so sind doch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Perspektiven zu beobachten, die geradezu zum Dialog auffordern.
Drei Konzepte, die in diesen wissenschaftlichen Communities gleichermaßen eine große Rolle spielen und die zum Teil eng miteinander verwoben sind, bieten sich zu einem solchen Dialog an: Ländlichkeiten, Territorialitäten, Kolonialitäten.
Während in deutschsprachigen Debatten mit der planetaren Urbanisierung und der zunehmenden Angleichung der Lebensverhältnisse in Stadt und Land Ländlichkeit eher in ihrem Verschwinden untersucht wird oder romantisch überhöht eine Renaissance erfährt und kritische Perspektiven erst in jüngster Zeit an Bedeutung gewinnen, werden in den Diskussionen um Ländlichkeiten in Abya Yala nicht nur aktuelle Prozesse des Strukturwandels, verbunden mit vielfältigen Konflikten in den Blick genommen. Gerade konzeptionelle Überlegungen rund um den umstrittenen Begriff der ‚Neuen Ländlichkeit‘ fordern den gewohnten Blick auf ländliche Räume heraus und fragen nach Kontinuitäten und Brüchen in den Zuschreibungen auch und gerade in wissenschaftlichen Arbeiten. Forderungen nach pluriversalen Perspektiven spielen dabei eine große Rolle.
Territorium und Territorialitäten stellen vielschichtige Konzepte dar, die in den wissenschaftlichen Debatten in Abya Yala schon seit längerer Zeit untersucht werden. Hier ist neben der Frage nach Koexistenz, Konflikt und Verwobenheit von Territorialitäten verschiedener Akteure und deren Handlungslogiken auch die Diskussion um die Bedeutung von Identitäten und Kollektivität(en) in ihrer Verknüpfung mit Territorialitäten entbrannt, um die Frage nach damit verbundenen Aus- und Abgrenzungsdynamiken zu beleuchten. Obwohl auch in deutschsprachigen Debatten in der Geographie Konflikte um Ressourcen, umkämpfte Natur(räume), regionale Identitäten und (Energie-, Wasser-)“Landschaften” etc. thematisiert werden, spielen die Konzepte Territorium und Territorialitäten selbst bei Arbeiten zu Kontexten in Abya Yala kaum eine Rolle.
Schließlich bildet der Begriff der Kolonialitäten ein zentrales Konzept in den Diskussionen um die post/kolonialen Macht- und Herrschaftsverhältnisse in Abya Yala und deren Verwobenheiten mit Dynamiken in Europa und Deutschland. Dabei geht es neben Fragen nach der Bedeutung dieser Konzepte für die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Prozessen auch um konzeptionelle Abgrenzungen zwischen post-, de- und antikolonialen Ansätzen. Positionalitäten von Forschenden und die Kolonialität der Academia spielen dabei genauso eine Rolle wie diskursive Herstellungen des “Anderen”, von Natur, von Wissen etc. die von post/kolonialen Hierarchien durchzogen sind. Gerade aus den unterschiedlichen Positionen in Abya Yala und Europa heraus, aus denen Forschung betrieben wird und Kolonialitäten untersucht werden, ist zu fragen, welche post/kolonialen Verhältnisse und Hierarchien damit reproduziert oder gebrochen werden.
Grundidee
Diese hier nur im Ansatz angedeuteten Debatten um die Konzepte Ländlichkeiten – Territorialitäten – Kolonialitäten und ihre möglichen Verschneidungen sollen beim Jahrestreffen des AK Abya Yala – Lateinamerika Raum finden. Der Schwerpunkt des Treffens liegt auf gemeinsamer Lektüre und Diskussion von Konzepten, Zugängen, Themenfeldern, wobei insbesondere ein Dialog verschiedener Perspektiven aus Abya Yala mit denjenigen aus den deutschsprachigen Debatten entstehen soll.
Als Vorbereitung werden wir einen Reader zusammenstellen mit Texten, die als Basis für die Diskussion dienen sollen. Über Vorschläge von Interessierten und Teilnehmer:innen (gerne mit einem kurzen Kommentar, warum der Text für die Debatte spannend sein kann) freuen wir uns natürlich.
Für Nachwuchswissenschaftler:innen und alle anderen, die aus eigenen Arbeiten Ergebnisse vorstellen und spezifische Fragen auch jenseits der definierten Themenfelder diskutieren wollen, bieten wir an, das individuelle Anliegen in einem kurzen Podcast oder Video, als Poster oder in anderer Form aufbereitet zur Diskussion zu stellen. Während der Tagung werden wir Zeit für die Diskussion dieser Einreichungen geben. Für Vorschläge und Ideen dazu bitten wir, mit uns in Kontakt zu treten.
Programmstruktur:
Donnerstag 27. Juni 2024
16:30 Uhr Willkommen mit Kaffee
17:00 Uhr Treffen des AK Abya Yala – Lateinamerika
18:00 Uhr Film & Diskussion „¿dicen transición justa pero justa para quien?“ – Kolumbienexkursion 2023
Auseinandersetzungen mit Fragen von Territorialität, Friedensprozessen und der (Un)Möglichkeit postkolonialer Exkursionspraktiken
Freitag 28. Juni 2024
09:00 Uhr Willkommen mit Kaffee
09:30 Uhr L–T–K Zusammendenken: Diskussion der Konzepte auf der Basis von Lektüre
13:00 Uhr Mittagspause
14:30 Uhr L–T–K Weiterspinnen: Weiterführung Diskussion der Konzepte
16:00 Uhr Kitchen Table mit Diskussion individueller Projekte zu feministischen Perspektiven, Energiewende, hydrosoziale Territorien, Territorien und aktuelle Dynamiken
18:00 Uhr Abschlussdiskussion
19:30 Uhr gemeinsames Abendessen
Samstag 29. Juni 2024
10:00 Uhr Postkolonialer Stadtrundgang
Die Tagung ist konzipiert als Lektüre-Treffen, bei dem die Konzepte Ländlichkeiten (L), Territorialitäten (T) und Kolonialitäten (K) auf der Basis von vorbereitenden Texten diskutiert werden. Anstelle eines großen Readers werden wir in den nächsten Wochen nach und nach Lektüre-Pakete zu den einzelnen Themenfeldern versenden.
Für die Versendung der Lektüre und die Vorbereitung der Kaffeepausen bitten wir um Anmeldung bis spätestens 15. Juni 2024 bei .
Teilnahmegebühr nach Selbsteinschätzung zu bezahlen bei Ankunft. Vorschlag: 10 Euro
Die Restgelder werden an Betroffene der Überflutungen in Südbrasilien gespendet.